ORTE & PLÄTZE
Leipzig 416 - Brache XXL
Über geräumten Bahnhof bläst der Wind
Auf dem Papier sollte es ein Vorzeige-Viertel mit innovativem und sozialem Wohnkonzept werden. In der Realität prägten Grundstücksspekulationen, flaue Absichtserklärungen und Aufschübe das Geschehen. Aber regelmäßig war alles immer wieder in guten Händen.

Im Sommer 2022 passierte der Bebauungsplan die Leipziger Stadtversammlung. Wenn – ja, wenn! – alles glatt geht, könnten die Bauarbeiten 2024 beginnen. Es ist eine Baufläche im XXL-Format, mit 25 Hektar halb so groß wie die gesamte Leipziger Innenstadt. Ein neues, gemischt genutztes Stadtviertel soll entstehen. Mit hohem Grünanteil, moderner Mobilität und manchem anderen mehr, was gerade woke
ist. Neben der geplanten Wohn- und Gewerbenutzung sollen ein Nahversorgungszentrum, eine Grundschule, eine weiterführende Schule, Sport- und Freizeitanlagen sowie zwei Kindertageseinrichtungen entwickelt werden. Doch außer regenbogenfarbenen Papiertigern entwickelte sich bislang nur die Preisdynamik.


Bodenpreis geht durch die Decke
Die 416 im Titel des Bauvorhabens bezieht sich auf den Kern der künftigen Postleitzahl des Gebietes. Doch bis der erste Briefkasten empfangsbereit ist, dürfte es bei aller Hybris noch etwas dauern. Als die Deutsche Bahn die Brachfläche des stillgelegten Güterbahnhofs für 2,1 Mio Euro veräußerte, startete kein Bauvorhaben. Vielmehr begann ein Monopoly der Superlative seinen Lauf. Aus den vergleichsweise bescheidenen 2,1 Millionen Euro wurden 33, später 195 und schließlich 210 Millionen. Im bundesweiten Feuilleton sieht man in derartigen Spekulationsblasen bereits ein erfolgreiches Geschäftsmodell, landauf wie landab in wachsenden Zentren erfolgreich praktiziert. Am Ende erzeugt der explodierte Grundstückspreis eine Verdichtung des Bauvorhabens. Auf derselben Fläche müssen deutlich mehr und deutlich teurere Wohnungen entstehen. Es muss sich schließlich rechnen, für Abstriche bleibt nur die Qualität übrig.




Größenwahn und Schieflagen
Die grundlegende Problematik liegt auf der Hand. Ganz ähnliche Probleme ergaben sich bei ähnlichen Bauvorhaben im XXL-Format. Manche wurde korrigiert. Am Bayerischen Bahnhof beginnt sich nach acht Jahren Projektzeit ein abschließender Bebauungsplan mit mehreren Akteuren abzuzeichnen. An der Ostseite des Hauptbahnhofes läuft das Mega-Projekt Löwitz-Stadtteil als Joint Venture mehrerer Investoren an.
Die Stadtverwaltung scheint überfordert, Planungen beruhen auf Stückwerk und löchrigen Vertragswerken. Städtebauliche Kennziffern kreisen um sich selbst. Ähnlich wie in den 1990er Jahren bei den Einkaufszentren geraten Netto- und Bruttoflächen immer wieder durcheinander. Zeitlich vor den stockenden und ineffizienten Großvorhaben füllen inzwischen kleinere und kleinste Projekte die baulichen Lücken. Auch lebenswerte Brachflächen fallen so der städtischen Verdichtung anheim. Bürgergespräche und Nachbarschaftsforen mit ihrer geduldigen Zahnlosigkeit bringen inzwischen nichts mehr. Am Ende thront der faule Kompromiss aus Gewinnmaximierung und grünem frame alignment bei städtebaulichem Mittelmaß.






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