ORTE & PLÄTZE

Abseits der Touristenströme

Lost Places im Harzer Selketal

Inmitten des wildromantischen Selketals liegt die beschauliche Ortschaft Mägdesprung. Der Brand einer traditionsreichen Ausflugsgaststätte im Sommer 2018 verdeutlicht das enge Nebeneinander von Licht und Schatten in einer der beliebtesten Urlaubssregionen Mitteldeutschlands.

Verwaltungsgebäude des ehemaligen Hüttenwerkes
Leicht abgegraben steht das alte Verwaltungsgebäude des ehemaligen Hüttenwerkes Mägdesprung

Das Selketal gehört zu den schönsten Flusstälern des Harzes. Der gut 60 Kilometer lange Fluss ist ein Nebenarm der Bode, der unverbaut und naturbelassen den Unterharz und das nördliche Harzvorland durchfließt. Wenngleich das Selketal zu den empfehlenswerten Ausflugszielen des Harzes gehört, ist an vielen Stellen zu spüren, dass es auch ein wenig aus der Zeit geraten ist. Es liegt abseits der großen Menschenströme zum Brocken und zu anderen so genannten Hot Spots. Mit seiner überkommenen Infrastruktur passt es nicht so recht in die typischen Touristengeschmäcker der Zeit. Doch das spricht nicht gegen den Landstrich mit seinem eigentümlichen Reiz. Was manche Touristen reizt, konfrontiert zudem den Berufspendler mit Problemen. Ein abgelegener Standort gilt als Geheimtipp, wenngleich ausbleibende zahlende Kundschaft den Ortsansässigen den Broterwerb verhagelt.

Fachwerk-Kurheim
Alexisbad war in der DDR begehrter Ferienort – Heute liegt das Sorgenkind lokaler Politiker im Abseits
Hof am Marktplatz
Auch in Stadtzentren größerer Ortschaften klaffen Lücken, die sich nicht so schnell schließen lassen

Vergessene Randlagen

Abseits der stark frequentierten Gebiete, nicht selten auch in malerischen Gegenden und beschaulichen Ortschaften, bröckelt der Putz. Es regieren Leerstand, Ödnis und Verfall. Die Gründe sind oftmals dieselben: Strukturwandel, leere öffentliche Kassen, fehlende Arbeitsplätze, demografischer Wandel. Besucher blieben aus, Anwohner zogen fort. Durch unzureichendes Gegensteuern schuf die Zeit unumkehrbare Tatsachen. Ganze Ortschaften und Landstriche drohen darüber in Vergessenheit zu geraten. Tourismus ist kein Selbstläufer.

Blick auf Hofgebäude
Es ist kein Verfall und keine wirkliche Verlassenheit, doch die Zeit hat viele kleine Orte abgehangen
Hofseite der Hüttenverwaltung
Das Areal des Hüttenwerkes ist längst beräumt, was stehen blieb, hat sich inzwischen die Natur geholt

Abseits in Mägdesprung

Einer dieser Orte ist das Städtchen Mägdesprung im südlichen Selketal. Die Sage vom Mägdesprung über das Selketal wurde von den Brüdern Grimm und Ludwig Bechstein aufgezeichnet. Einst soll hier ein Riesenmädchen zu einem kühnen Sprung über das Tal angesetzt haben. Im 17. Jahrhundert hielt die Hüttenindustrie Einzug in Mägdesprung. Nach anfänglichen Schwierigkeiten entwickelte sich der Standort im 19. Jahrhundert zu einer erfolgreichen Adresse für Kunstguss-Erzeugnisse. Das beschauliche Städtchen an der Selke brachte es in der Folge bald auf mehr als 200 Einwohner. Die Geschicke von Hüttenwerk und Ort waren stets eng miteinander verbunden. Nach der politischen Wende geriet das Werk binnen kurzer Zeit zu einer Industriebrache. Das Gelände wurde beräumt, Teile davon parzelliert und verkauft. Im Jahre 2016 zählte man im inzwischen nach Harzgerode eingemeindeten Mägdesprung noch 54 Bewohner. Von großen Sprüngen kann man hier nicht mehr berichten.

Brandruine der 'Kutscherstube'
Am 2. Juli 2018 brannte die Kutscherstube in Mägdesprung bis auf die Grundmauern nieder
Blumentopf mit Brandschaden
Der versengte Blumentopf steht als letzter Hinweis auf eine beliebte Ausflugsgaststätte
Niedergebranntes Gebäudeareal
Einsatzkräfte von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk konnten das Niederbrennen nicht verhindern
Außenmauer Brandruine
An der Nordostseite des Gebäudes ist lediglich der Teil einer Außenmauer stehen geblieben
Brandfläche und Hotelruine
Unmittelbar neben der Brandruine stehen im Sommer 2018 die Reste vom einstigen Kurhaus Meves
Mülltonne im Hofbereich
Akkurat und aufrecht präsentiert sich die historische Mülltonne im verlassenen Hofgelände
Loggia am Hotel Mewes
Das baufällig gewordene Familienunternehmen besaß die für die Harzregion typische Loggia
Brachland in Mägdesprung
Leerstand, Brandschaden, Brachland - Urlaub macht man heute woanders
Ausgeglühter Stahlträger
Ein verformter Stahlträger des Gebäudes zeugt von den Hitzeschäden des Brandes

Welterbe, ­Leuchttürme und Ödnis

Dabei liegt das Selketal nicht im Niemandsland, keine zwanzig Kilometer entfernt befindet sich die Welterbestadt Quedlinburg mit ihrem historischen Kern aus Fachwerkbauten, dem Dom und einer recht lebendigen Innenstadt. Dort und an anderen Hotspots scheint die touristische Welt in Ordnung, doch zwischen ihnen gähnt Ödnis. Einige wenige lokale Gaststätten und Hotelbetriebe harren noch gegen den Mainstream aus. Bäcker und Fleischer findet man meist nur noch im Discounter in lokaler Randlage. Für einen Ausflug in die Gegend sollte man sich besser Speisen und Getränke mitnehmen.

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