INDUSTRIE 16 | 4:45 Min
Hopfen und Malz, Gott erhalt's
Markenbrauereien zu Lost Places degradiert
Gesoffen wird seit Jahrzehnten und Jahrhunderten. Am Konsum wird sich in Zukunft nur wenig ändern, was seitens der Produktion nicht gesagt werden kann. Die radikalen wirtschaftlichen Umbrüche mit dem Ende der DDR trafen den Brauerei-Sektor besonders stark.
Der massenhafte Bierkonsum setzt eine entsprechende Massenproduktion voraus. Die Brauereibetriebe, die in den letzten Jahrzehnten aus den Stadtstrukturen verschwanden, gehörten Jahrzehnte früher selbst zu den Verdrängern auf dem lokalen Biermarkt. Steigende Grundstückspreise, bessere Transportmöglichkeiten und größere Kapazitäten bei der Herstellung haben die Brauereibetriebe und damit die Stadtlandschaften verändert. Die Wanderbewegung der Brauereibetriebe zu dezentralen Standorten sind keine Erfindungen der letzten Jahrzehnte.
Umbrüche seit Jahrhunderten
Bereits weit vor der Gründerzeit gehörten Brauereien zu denjenigen Fabriken, die ihre Standorte im alten innerstädtischen Bereich aufgaben und mit modernen Produktionsanlagen die neuen Gewerbeflächen in den damaligen Vororten besiedelten. Dies erfolgte bereits damals in großem Maßstab: Riebeck in Reudnitz hatte um die vorvergangene Jahrhundertwende das größte Sudhaus der Welt zu bieten. Leipzigs Nummer zwei, C. W. Naumann, begann das Bierbrauen in der Kleinen Funkenburg, bevor er das Gelände in Plagwitz bezog. Die zu diesem Grundstück führende Straße wurde dann stilecht Braustraße
genannt.
Mit den Eingemeindungen im Jahre 1903 gab man ihr mit Naumburger Straße
einen Namen mit neuem lokalen Bezug. Auch die Braustraßen in Gohlis und Eutritzsch wurden umbenannt, einzig die Leipziger Braustraße in der Südvorstadt behielt ihren angestammten Namen.
Die Umbrüche betrafen nicht allein die Orte, an denen gebraut wurde, sondern auch die Technologie. Bereits zur so genannten Gründerzeit um 1880 verschwanden dutzendweise Brauereibetriebe, die mit ihren veralteten Produktionsanlagen den technischenen Anforderungen der Massenproduktion nicht mehr entsprachen. Die unmittelbaren Nachbarn in den Wohngebieten dürften ihr Ende kaum bedauert haben. Gewinner waren Brauereien industriellen Charakters, die nicht selten unter dem damals stolzen Namen Dampfbierbrauereien
die Produktions- und Abfüllprozesse rationalisierten.
Radikale Veränderungen eingeschlossen
Die Konstanz der althergebrachten Zutaten Hopfen, Malz und Wasser täuscht über zahlreiche Veränderungen und Innovationen hinweg. Ergänzend zu Dampfkraft und Mechanik im Produktionsprozess brachten die ab dem späten 19. Jahrhundert eingesetzten Kältemaschinen eine weitgehende Unabhängigkeit von Außentemperaturen und Jahreszeiten. Auch der Trend zu Flaschenbier bewirkte drastische Veränderungen für Haushalte als auch Wirtshäuser.
Die Liberalisierung des Biermarktes im 19. Jahrhundert ging auch im mitteldeutschen Raum mit einer zurückgehenden Zahl an Brauereien einher. Der Ausstoß der verbleibenden Betriebe hingegen vergrößerte sich. Eine ähnliche Entwicklung brachten die Umwälzungen im Zuge der untergehenden DDR. Oft ging die Modernisierung mit der Auslöschung der angestammten aber weniger rentabel wirtschaftenden Konkurrenz einher.
Beispiele für solche Nachwendeschicksale sind die Sternburg-Brauerei in Lützschena oder die Hallesche Brauerei Freyberg mit ihrer einstigen Stammmarke Meisterbräu
aus der Saalestadt. Bei beiden verlief der Weg nach dem Aufkauf ähnlich: Von der Brauerei mit Traditionsmarken degradierte man den Betrieb zur Abfüllanlage – wenig später folgte die komplette Schließung mit der Produktionsverlagerung zum Stammhaus im Westen.
Alles im Umbruch?
Seit Jahren liegt Craft-Beer aus Mini-Brauereien voll im Trend, ebenso lokale Brauereien mit Angeboten jenseits des Mainstreams, die das Bierangebot mit ihrer Vielfalt bereichern. Rein mengenmäßig auf die Produktion bezogen sind die Verhältnisse trotzdem klar zugunsten der großen Akteure geordnet. Doch das gut eine Prozent Marktanteil der kleinen Brauereien sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass mehr als die Hälfte der Brauereibetriebe in Deutschland sogenannte Mikrobrauereien sind, die im Jahr weniger als 1.000 Hektoliter herstellen.
ZeitBrüche-Update
Beide Brauereien stehen exemplarisch für Braubetriebe, die sich mit der politischen Wende auf innerstädtischen Gebiet befanden und am Markt keine Chance hatten. Die Firmengelände in attraktiver Lage gingen in Wohnparks mit einigen architektonischen Zitaten auf. Für das Gelände der ehemaligen Sternburg-Brauerei in Lützschena-Stahmeln ist ähnliches vorgesehen. Doch das Projekt Wohnquartier Zur Alten Brauerei
ist nach dem Wettbewerb 2019 über Änderungen und planungspolitische Querelen lange nicht hinaus gekommen. Der geänderte Bebauungsplan lag schließlich Anfang November 2023 zur Beschlussvorlage für den Leipziger Stadtrat vor.
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