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Der Leipziger Dichter und Gelehrte Christoph Fürchtegott Gellert lieferte bereits im Jahre 1746 den vielzitierten Satz zu einem thematischen Dauerbrenner: Schulen und Universitäten sind nicht halb so gut wie die schlechtesten Kaffeehäuser.

Seit 1751 lehrte Gellert an der Leipziger Universität als außerordentlicher Professor über Poesie, Beredsamkeit und Moral. Die alma mater lipsiensis galt als geistiges und literarisches Zentrum der Zeit. Die Stadt selbst, die sich bis in die 1830er Jahre noch im engen Korsett ihrer alten Stadtmauern befand, bot dazu den passenden Rahmen zu einem Schmelztiegel der besonderen Art.
Wirts- und Schankhäuser hatten auch dort von alters her ihren festen Platz, auch mit ihrer sozialen Komponente von Beisammensein und Austausch. Selbst bei der schweren Belagerung durch die Hussiten anno 1430. Der Handel lag brach, die Einnahmen der Stadt sanken dramatisch. Aber die Trinkstube im Burgkeller verzeichnete während dieser Zeit eine Verdoppelung ihrer Einnahmen.
Gellert, Gottsched, Goethe
Für eine wichtige Schnittstelle zum Geistesleben sorgten der Kaffee und die Kaffeehäuser. Das älteste erhielt im Jahr 1718 die Lizenz zum Ausschank von Kaffee, Likör und Wein. Mitte der 1720er Jahre bewirteten bereits acht "Oeffentliche Caffèe-Schencken" ihre Gäste. Sie boten eine neue Form der Öffentlichkeit und waren Treffpunkt für Künstler, Literaten, Verleger und Handelsreisende.

Anstelle privater Salons boten sie auch Musik und Kunst einen öffentlichen Raum. Was aber wäre die Geschichte der Leipziger Kaffeehäuser ohne Bachs berühmte Kaffee-Kantate? Uraufgeführt wurde sie vermutlich 1734, standesgemäß und inhaltsgerecht in Zimmermanns Kaffeehaus in der Katharinenstraße. Unter dem programmatischen Titel Schweigt stille, plaudert nicht endet sie mit dem bekannten Schlusschor: Die Katze läßt das Mausen nicht, / Die Jungfern bleiben Kaffeeschwestern. / Die Mutter liebt den Kaffeebrauch, / Die Großmama trank solchen auch, / Wer will nun auf die Töchter lästern!
Nur unweit jenes Kaffeehauses kreuzten sich die Wege von Wirtshaus und Literatur. Mit der Szene in Auerbachs Keller erhielt ein beliebter Lesestoff der Zeit seine Lokalität. Im Urfaust von 1770 und in den folgenden Fassungen ist das Leipziger Gasthaus der einzige reale Handlungsort in Goethes Drama.

Faust
Zöllner gilt in Deutschland als der Urvater der Männergesangsvereine. Neben seinem Leipziger Zeitgenossen Ernst Anschütz, der mit Oh Tannenbaum und Alle meine Entchen Gesangsklassiker komponierte, steuerte Zöllner mit Das Wandern ist des Müllers Lust ein nicht weniger populäres Werk dem kollektiven Liedgedächtnis bei.
Kantaten, Lieder, Anekdoten
Im frühen 19. Jahrhundert gehen Wirtshaus und Gesang in Gestalt von Gesangsvereinen eine Symbiose ein. Als deren Urvater gilt Zöllner, der sich mit Das Wandern ist des Müllers Lust ins kollektive Liedgedächtnis schrieb. In Zills Tunnel war er häufig zu Gast, wo er im Kreis seiner Sanges- und Zechbrüder auch einmal den Speisezettel vertonte. In der Satzung der ersten Leipziger Liedertafel, am 24. Oktober 1815 ebenda gegründet, findet sich die Bestimmung: Ein gesundes Mitglied darf ohne allgemein anerkannte Gründe nicht vor elf Uhr weggehen.
Ob das am Ende der Kunst genützt hat, sei dahingestellt. Bekannt ist allerdings, dass sich Gewandhaus-Kapellmeister Felix Mendelssohn Bartholdy beim Besuch des 25. Jubiläums der Liedertafel verstimmt zeigte: Es wurde so falsch gesungen und noch falscher gesprochen.

Zills Tunnel
Anekdotenträchtiges zum Thema Wirtshaus hat auch Max Reger, aus Bayern stammender Komponist, Musiker und Gewandhaus-Kapellmeister, geliefert: Dem trinkfrohen und trinkfesten Musiker brachte der Kellner im 'Landsknecht' die Rechnung über 13 (...) Kulmbacher. Reger reklamierte: 'So viel trinke ich nie! Ich hab nur zwölf, und meine Alte - oans!


Brauner Hirschhatte seinen Namen aus dem Jahr 1736, vergessen

Mit dem Industriezeitalter eroberte das Arbeitermilieu die Wirtshäuser. Mit ihm kommen die Kneipen auf, in denen man Durst und Ärger hinwegspülte. Wie einst die Kaffeehäuser sind auch sie Orte im öffentlichen Raum, die mit Stammtischen und Vereinsaktivitäten zum gesellschaftlichen Diskurs beitrugen.
An Kritik und Gegenbewegungen zu Trinkereien, Kaschemmen und Spelunken hat es nicht gemangelt. Den härtesten Schlag gegen die Kneipen dürfte Ende des 19. Jahrhunderts ausgerechnet die Bierflasche geführt haben. Sie löste den Bierkonsum aus den Wirtshäusern und führte ihn in Privaträume. Heute steht die (getragene) Bierflasche wieder für den Gang in die Öffentlichkeit.



Die Eckkneipe als Kulturgut ist mittlerweile verschwunden. Allein im ersten Jahrzehnt der 2000er konstatierte man vielerorts Rückgänge von dreißig Prozent und mehr. Angesagt sind hingegen Kneipenmeilen und Partyzonen, während ringsherum ganze Stadtteile zu reinen Schlafvierteln verkommen. Es verhält sich ähnlich wie mit den Einkaufszentren und den Tante-Emma-Läden.