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Bemerkenswerte Umzugskünste

Fallbeispiele seltener wie seltsamer Details

Zum Thema Umzüge kann Leipzig manche seltenen Begebenheiten beisteuern. Umzüge im Sinne der rheinischen Volksfeste waren es nie. In der Kaufmannsstadt Leipzig hatte man mit Faschingsritualen traditionell nichts am Hut. Umgezogen wurde trotzdem.

Barthels Hof
Ende des 19. Jahrhunderts wechselte die Fassade an Barthels Hof erfolgreich die Straßenseite

In Leipzig zogen nicht allein lebende wie verstorbene Personen um, sondern auch verschiedene Denkmäler, Häuserteile und noch einiges mehr. Der berühmte Fürstenerker in der Grimmaischen Straße wanderte mit seinem Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg auf die in etwa gegenüberliegende Straßenseite. Bei ihm handelt es sich jedoch um eine Replik, das Original war aus dem Trümmerschutt des Zweiten Weltkriegs nicht mehr zu bergen. An anderer Stelle wechselte bereits im 19. Jahrhundert eine komplette Hausfassade die Seiten: Der Schlangengiebel an Barthels Hof. Bemerkenswert war, dass dies in einer Zeit erfolgte, die normalerweise auf Abriss und Neubau setzte. Der Denkmalschutz war noch nicht erfunden.

Relief an Fassade
Die steinerne Schlange zog um – Und das noch weit vor der Erfindung des Denkmalschutzes

Der repräsentative Handelshof entstand in den Jahren 1747 - 1750, doch bereits ein Jahrhundert später war er architektonisch nicht mehr aktuell, da der Besitzer seinerzeit den Neubau des Vordergebäudes zur Hainstraße nicht realisieren konnte. In den Jahren 1870/71 erfolgte schließlich der repräsentative Umbau mit neuer Vorderfassade und breiter Einfahrt. Baumeister Bruno Leopold Grimm bewies beim Bau der neobarocken Fassade Kompetenz wie Geschmack und versetzte die aus dem Jahr 1553 stammende wertvolle Renaissance-Fassade des Hauses zur Goldenen Schlange komplett auf die Hofseite.

Umzüge rund um die Universität

Als im Jahre 1836 das Augusteum als neues repräsentatives Hauptgebäude der Leipziger Universität eingeweiht wurde, hatte es einen städtebaulichen Seitenwechsel bereits vollzogen. Es war das erste neu gebaute Haus am Außenrand der einstigen Innenstadt, das seine komplette Vorderfront in Richtung der neu entstehenden Vorstädte wandte.

Leibniz-Denkmal
Nach einer 90-Grad-Drehung steht Leibniz nach drei Umzügen wieder am angestammten Standort

Im Jahre 1906 zog das Leibniz-Denkmal um. Es stand damals an der Thomaskirche und wechselte in den Hof des Paulinums der Universität. Der Philosoph machte rechtzeitig Platz für Denkmalsnachfolger Bach, der am Thomaskirchhof seinen Sockelplatz unverändert seit 1908 inne hat. Für den Denkmal-Leibniz verliefen die Zeiten weniger ruhig. Zum Kriegsende befand er sich inmitten von Trümmerschutt. Dass er beim Universitätsneubau in den sechziger Jahren ins Magazin wechselte, blieb nur Zwischenstation, denn 1977 zog er – von hinten betrachtet – vor das Hörsaalgebäude. Doch auch dieser Standort sollte nur eine Zwischenlösung sein. Nach einer Restaurierung steht das Leibniz-Denkmal seit 2008 wieder im Innenhof des komplett neu gestalteten Universitätsgeländes. Allerdings um 90 Grad gedreht.

Bach-Denkmal
Das bekannte Bach-Denkmal vor der Thomaskirche sorgte einst für den Umzug seines Vorgängers

Schwarzhumorige Rekorde

Als wahrhaft posthumer Umzugskünstler erwies sich der Fabeldichter Johann Fürchtegott Gellert. Er galt zu Lebzeiten nicht nur als universaler Geist, sondern auch als Hypochonder. Eine gewisse Unruhe scheint auch nach seinem Tode am 13. Dezember 1769 ihre Fortsetzung gefunden zu haben. Nach Gellerts Beisetzung auf dem Alten Johannisfriedhof musste er bis zum heutigen Tage noch drei mal umziehen, das erste mal 1904 in die Bach-Gellert-Gruft in der nahe liegenden Johanniskirche. Als die schwer kriegszerstörte Kirche gesichert und schrittweise abgetragen wurde, ging es mit Gruft-WG-Mitglied Bach auf einer LKW-Pritsche zur Thomaskirche. Für Gellert zeigte man dort jedoch wenig Interesse, weswegen seine Reise in die Paulinerkirche weiterging. Nur achtzehn Jahre später, auf die Ewigkeit bezogen ein sehr kurzer Zeitraum, verlegte man Gellert wegen der vorgesehenen Sprengung im Jahre 1968 auf den Südfriedhof, Standort I/10. Seither hat man nichts wieder gehört.

Markierung auf Rasenplatz
Der Ort des Geschehens ist markiert, dort befand sich die Gruft für die Herren Bach und Gellert

Der Schriftsteller Johann Gottfried Seume brachte es bereits während seiner nicht allzu lang währenden Lebenszeit auf 14 verschiedene Wohnungen in Leipzig. Die markanteste von ihnen war sicherlich die unter dem steilen Turmdach im Haus Markt 6. Dort, an der Nordseite des Leipziger Marktes, ist von Seume allerdings nichts mehr zu finden. Im zehn Kilometer entfernten Ortsteil Rückmarsdorf jedoch, dem Wohnort der Schwester, ist im Heimatmuseum ein Seume-Zimmer im Stile der Zeit zu sehen.

Marktplatz Leipzig
Das Haus Markt 6 mit seinem markanten Dach war eine von vierzehn Leipziger Wohnstätten Seumes

Wer denkt, solche Umzugsaktivitäten wären von gestern, der sieht sich getäuscht: Das Kaufhaus Held in Lindenau wechselte in den 1990er Jahren – zumindest dem Namen nach – zu einem hundert Meter entfernten Neubau. Doch es geht auch anders. Ein gewichtiges Leipziger Denkmal scheint seinen Status als fortwährendes Provisorium Ende 2010 abgelegt zu haben. Auf der neuen alten Treppe zum Matthäi-Kirchhof hat der von Max Klinger geschaffene Sockel für ein geplantes Wagner-Denkmal seinen neuen Platz gefunden. Der in den 1930er Jahren projektierte Richard-Wagner-Hain, für den die Hallen des Palmengartens weichen mussten, verblieb im Planungsstadium. Den neu gestalteten alten Sockel des neuen Denkmals am Matthäi-Kirchhof ziert eine zeitgenössische Wagner-Plastik von Stephan Balkenhol.

Denkmal auf Freitreppe
Das Richard-Wagner-Denkmal nach Umzug und Komplettierung – Am Ambiente wird noch gearbeitet
Elsterwehr Hartmannsdorf
Am Elsterwehr in Hartmannsdorf endet für die Weiße Elster der Neubau-Abschnitt in Asphalt und Beton

Auch bei diesem Thema gilt, je nach Lesart: Größer oder schlimmer geht immer. Als in den 1970er Jahren der Zwenkauer Tagebau nach Westen schwenkte, musste auch die Weiße Elster für die begehrte Braunkohle in ein neues Flussbett umziehen. Seither beschreibt sie an dieser Stelle auf knapp 15 Kilometern einen weiten Bogen in einem künstlichen Bett aus Bitumenbeton. Das Zwenkauer Tagebauloch ist inzwischen einen See gewichen. Aber das ist eine andere Geschichte ...


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