ANGEHEFTET

Dauer-Baustelle Atomkraftwerk

Lost Place noch vor dem Ausstieg

Die berühmte Geschichte vom Turmbau zu Babel scheint noch einmal anzuklingen. Die gigantische Baustelle aus dem alttestamentarischen ersten Buch Mose ist aber in die deutsche Gegenwart der Jahrtausendwende versetzt. Das Scheitern des Projekts ist durchaus ähnlich.

Schilder auf Industriegelände
Die ehemalige Baustelle des KKW Stendal in der Realität 2023: Neue Nachnutzung, Platz und Leerstand

Der dritte Kernkraftwerksbau der DDR sollte pragmatischerweise ein Projekt der Superlative werden. Im altmärkischen Flecken Arneburg begannen 1974 die Arbeiten zum Bau eines Kernkraftwerkes mit viermal 1.000 Megawatt Leistung. Bis zu 9.500 Menschen arbeiteten auf und an der Großbaustelle. Bis zum Jahr 1980 sollte das größte Kernkraftwerk Deutschlands errichtet sein. Doch im Lauf der Zeiten mussten die Planungen durch politische Zwänge und technische Probleme immer wieder geändert werden. So zogen sich allein die atomrechtlichen Genehmigungen bis Ende 1979 hin. Zur eigentlichen Großbaustelle kamen weitere hinzu: In den umliegenden Gemeinden entstanden 14.000 Wohnungen, ein neues Krankenhaus, Schulen und Freizeitanlagen. Hinzu kam noch der Aus- und Neubau von Straßen und Bahnstrecken.

Eingang Kraftwerksareal
Nach zwei Jahrzehnten der Beräumung stehen vom einstigen Prestigeobjekt nur noch Nebengebäude
Sozialgebäude
Das Sozialgebäude I war der erste fertige Bau der 450 Hektar Fläche umfassenden Großbaustelle

Erster fertiggestellter Bau vor Ort war 1975 das Sozialgebäude I. Die Arbeiten an den ersten beiden Kraftwerksblöcken begannen 1982. Auch hier sorgten technische Anpassungen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Störfälle in den Kernkraftwerken Harrisburg und Tschernobyl, für ständige Verzögerungen. Schließlich sollte laut Ministerratsbeschluss der erste Block des KKW Stendal im Herbst 1991 ans Netz gehen. Die politische Wende kam dazwischen, das Mega-Projekt endete per Baustopp am 1. März 1990. Die 450 ha große Baustelle wurde mit Teilabrissen, Abrissen und Umstrukturierungen zum heutigen Gewerbegebiet zusammengeschrumpft. Geblieben ist eine weitläufige Geisterstadt, in der es nicht einmal spukt.

Plattenbau-Block
Der Block des Baukombinates hat neben den unvermeidlichen Baubaracken ebenso überdauert
Empfangsgebäude Bahnhof
Mehr Abfertigung als Empfang: Der für das Kernkraftwerk Stendal gebaute Bahnhof Arneburg
Werksruine an Straße
Das noch stehende Gebäude der Wasseraufbereitung lässt die Dimensionen des Kraftwerks erahnen
Hof Mehrzweckgebäude
Heute parkt hinter dem Mehrzweckgebäude ein Teil der polnischen Holztransporter-Flotte von Mercer
Fabrikanlage mit Schornstein
Das moderne Mercer-Zellstoffwerk liefert nebenbei noch ein bisschen Energie für die Region
Ensemble Plattenbauten
Das Kernkraftwerk ist weg - Doch weder den Abriss noch alternative Energien gibt es zum Nulltarif
Stationsschild Werkbahnhof
Das Stationsschild vom Werkbahnhof Lubmin steht als Sinnbild für Verwirrungen um die alten Atom-Meiler

Das unvollendete Stendaler Kernkraftwerk hatte mit dem KKW Nord einen fertiggestellten Vorgängerbau. Nach sieben Jahren Bauzeit ging 1974 in Lubmin bei Greifswald der erste Block in Betrieb, drei weitere folgten bis 1979. Ihr Betrieb deckte gut 10 Prozent des Energiebedarfs des Landes. Die Erweiterung um weitere vier Blöcke geriet dann in die Wirren der politischen Wende. Angesichts notwendiger Instandsetzungen, Anpassungsarbeiten und Genehmigungsverfahren entschied man sich für die Stillegung. Der Störfall DDR blieb vom Markt der deutschen Kernenergie fern und der politischen Großwetterlage des linksgrünen Atomkraft - nein danke! war Genüge geleistet.

Am Ende des Kapitels der Kernenergie in der DDR stehen zwei aufgelassene Großprojekte. Deren Rückbau genannter Abriss dürfte ihrem Bau in Aufwand und Dauer kaum nachstehen. Zwei Minderheiten werden aber befriedigt sein: Die laute Minderheit der zufriedengestellten grünen Ideologen und die unauffällige derjenigen, die im Hintergrund die Rechnungen legen. Man sollte sich bei solchen Kehrtwendungen aber nicht der Illusion hingeben, aller Ausstieg ende als Nullsummenspiel auf der einstigen grünen Wiese.

Blöcke Kernkraftwerk
Die letzten beiden Blöcke in Greifswald gingen als fertiggestellte Baustellen in den Abriss
Abrissarbeiten
Der Abriss des Kernkraftwerkes Greifswald zieht sich hin, aktuell ist vom Jahr 2028 die Rede

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