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Grüße aus vergangenen Zeiten

Der letzte Saurier ist abgetreten

Das Telegramm konnte man als die E-Mail des analogen Zeitalters bezeichnen. 178 Jahre nach dem ersten Telegramm ist hierzulande nun Schluss. Als eine der letzten Postgesellschaften weltweit stellte die Deutsche Post zum Jahresende 2022 den Telegramm-Service ein.

Telegramm-Vordruck
Vordruck für die Aufgabe eines Telegramms bei der Deutschen Post der DDR

Den Ausdruck Telegramm soll im Jahr 1852 der Jurist E. P. Smith aus Rochester in den Vereinigten Staaten geprägt haben. Es dauerte einige Zeit, bis sich der Begriff gegen die damals geläufigen Ausdrücke telegrafische Depesche, Kabel oder Drahtnachricht durchsetzen konnte. Als erstes Telegramm gilt die Botschaft What hath God wrought? (Was hat Gott bewirkt?) vom 24. Mai 1844. Absender war Samuel Morse, als Professor für Malerei und Bildhauerei erfolgreicher Quereinsteiger in die Kommunikationsgeschichte.

Technikgeschichte hat mehrere Anfänge

Die Anfänge der Telegrafie werden ins revolutionäre Frankreich verortet. Dort entwickelte Claude Chappe 1791 den optischen Telegrafen. Der Ingenieur ließ alle 10 Kilometer Holzgerüste errichten, auf deren Spitzen je drei bewegliche Flügel montiert waren. Durch unterschiedliche Stellungen zueinander konnten die Signalflügel – Sichtkontakt vorausgesetzt – knapp 200 verschiedene Zeichen übermitteln. Eilige Nachrichten mussten fortan nicht mehr mit reitenden Boten übermittelt werden.

Das 19. Jahrhundert brachte dann die Verbindung des Telegrafen mit dem Elektromagnetismus. Es war der Mathematiker und Astronom Carl Friedrich Gauß, der im Jahr 1833 mit dem Physiker Wilhelm Eduard Weber einen elektromagnetischen Telegrafen in Betrieb nahm. Er verband in Göttingen über 1100 Meter die Sternwarte mit dem physikalischen Institut der Universität.

Im Jahre 1837 hatte Morse aus einer Staffelei, Drahtresten und einer Wanduhr ebenfalls einen elektromagnetischen Telegrafen entwickelt. Für den Erfolg sogte in Zeiten eingeschränkter Übertragungskapazitäten sein Punkt-Strich-System, das die Textnachricht effizient codieren konnte. Sein erstes Telegramm lief bereits über eine neue, 60 Kilometer lange Telegrafenleitung von Washington nach Baltimore. Zunächst sollte sie in Bleirohren in einem Graben neben einer Eisenbahnstrecke verlaufen, wegen technischer Probleme verlegte man die Drähte schließlich oberirdisch an Pfählen mit Glas-Isolatoren. Diese Leitungen prägten fortan das Bild.

Gedenktafel
Kein Aprilscherz: Erinnerungsplakette an die Eröffnung der ersten Telegramm-Station [Quelle: Wikipedia]

Spezielle Sprache entsteht

Telegramme blieben bis weit in das 20. Jahrhundert die einzige Möglichkeit, Nachrichten über große Entfernungen schnell zu übermitteln. Nennenswerte Telefonnetze entstanden erst mit dem 20. Jahrhundert. In den 1950er Jahren erreichte die Telefonie schließlich das breite Alltagsleben. Doch auch dann blieb das Telegramm in Gebrauch, um wichtige Nachrichten an Menschen zu übermitteln, die eben keinen Telefonanschluss besaßen. Auch für besondere Anlässe spielten Telegramme weiter eine Rolle. Im Jahr 1978 stellte die Bundespost noch rund 13 Millionen Telegramme zu, in der DDR bewegten sich die Zahlen in einem ähnlichen Bereich. Dort war das Telegramm aufgrund dünnerer Telefonabdeckung populär geblieben.

Die Kosten für eine Botschaft berechnete man von Anfang auf Grundlage der Wort- oder Buchstabenanzahl. Mit der teuren Übermittlung setzte sich bald ein besonderer, knapper Telegrammstil durch. Artikel, Possessiv- und Personalpronomen, Hilfsverben und Präpositionen suchte man vergebens: Ankomme Freitag den 13., wie es Reinhard Mey in einem Lied karikierte. Den heutigen SMS- und Tweetbotschaften ist dieser Stil nicht unähnlich. Der Zeitgeist fand noch eher Gefallen: In der Literatur hielten solche sprachlichen Verknappungen bereits im Sturm und Drang Anfang des 19. Jahrhunderts Einzug, weit vor der Erfindung des Telegramms.

Wurst und Schokolade gegen den Niedergang

Mit der Verbreitung des Mobilfunks ab den 1990er Jahren begann der Niedergang des Telegramms in einer klassischen Abwärtsspirale aus abnehmender Nachfrage und eingeschränkten Leistungen. Ab März 2003 wurde aus der Expresszustellung des Telegramms ein normal zugestellter Brief, Sonntagszustellung nur noch gegen Aufpreis. Mit halbherzig zugeschnittenen Extraleistungen versuchte man noch, den Niedergang des Telegramms zu bremsen. Doch frische Blumen, individuell gestaltete Schokoladen-Telegramme oder Sektsendungen konnten den Abwärtstrend ebensowenig aufhalten wie der telegrammähnlich aufgemachte Wurstbrief der Metzgerei Willy Böbel aus dem Jahr 2004.

Auszug aus Schulheft
Aus einer fernen Zeit: Das war die Post in den 1970er Jahren in einem Schulheft der zweiten Klassenstufe

Der Abschied vom Telegramm fällt nach einem Blick in die Entgelt-Regelungen nicht schwer. Für 160 Zeichen werden 12,57 € fällig, wer 480 Zeichen inklusive sogenanntem Schmuckblatt versendet, muss 21,98 € berappen. Ihr Telegramm können Sie auch mit einem attraktiven, hochwertigen Schmuckblatt aufwerten. Der gelbe, aufmerksamkeitsstarke Umschlag hat dann die Größe DIN A4. Man könnte nachträglich meinen, da habe jemand aus dem überbezahlten Management mit Absicht den Schuss nicht gehört.


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