WEGE & PFADE

Lost Place auf dem Trockenen

Hafen ohne Gewässeranschluss

Leipzig wäre gern eine Seestadt geworden, wie es ein Gedicht der Leipziger Mundart-Dichterin Lene Voigt auf den Punkt bringt. Doch aus einer gut frequentierten Kanal-Verbindung zu den Weltmeeren ist über Jahrzehnte und Jahrhunderte schlichtweg nichts geworden.

Alte Speicher im Grünen
Als Brachfläche, Angelstandort und Fotomotiv überdauerte der Lindenauer Hafen die Jahrzehnte

Im Mai 1938 starteten die Bauarbeiten für das Hafenbecken, nachdem bereits fünf Jahre zuvor der Kanalbau zur Saale anlief. Als im Frühjahr 1943 mit der Verschärfung des Zweiten Weltkrieges das Bauprojekt eingestellt werden musste, verblieben drei Fragmente. Der Kanal, die Schleusentreppe in Wüsteneutzsch und der Lindenauer Hafen harrten seither in ihren Insellagen. Es war nicht das erste Kanalprojekt, das unvollendet blieb. Mit dem heutigen Karl-Heine-Kanal wuchs bereits ab 1856 ein Flussbauprojekt von der Weißen Elster westwärts.

Speichergebäude am Hafenbecken
Das vergessene Bauprojekt am westlichen Stadtrand entwickelte sich unbeachtet zum Refugium
Gleisrest und Eisenbahnbrücke
Reste eines Schienennetzes auf zwei Spurweiten erinnerten an den einstigen Industriestandort
Alte Fabrikanlage
Die ehemalige Westend-Brotfabrik mit ihrer gelben Klinkerfassade ist bekannter Hafen-Anrainer
Ehemalige Verladeanlage
Relikte wie die Verladeanlage der Kiesbahn sind nur noch bei fehlender Vegetation sichtbar

Kanalbau bleibt im Ort

Doch westwärts bedeutete noch nicht die Anbindung an die Saale. Der Kanalbau diente vor allem zur Erschließung des Leipziger Westens und des Plagwitzer Industriereviers. Mit dem Aushub legte Heines Baugesellschaft Sumpfgebiete trocken, gewann Bauland in Plagwitz und transportierte auf dem Wasserweg Baumaterial zu Leipzigs Großbaustellen der Zeit. Der nüchtern kalkulierende Unternehmer Karl Heine wäre wohl nie auf die Idee gekommen, sich mit einem Kanal zur Saale in den Bankrott zu graben. In vier Jahrzehnten entstanden gerade einmal knapp dreieinhalb Kilometer Wasserstrecke im wachsenden Plagwitzer Industrierevier. Die Bauarbeiten endeten 1898 vor der Luisenbrücke an der Lützner Straße. Dort waren für die ausführende Westend-Baugesellschaft vor allem die Kiesschichten der Schönauer Flur von Interesse.

Kanal am Stelzenhaus
Der Karl-Heine-Kanal schlängelt sich durch das ehemalige Plagwitzer Industrierevier
Ehemaliges Mörtelwerk
Eng mit der Erschließung des Leipziger Westens verbunden war auch das Mörtelwerk am Kanal

Südflügel des Mittellandkanals

Mitte der 1920er Jahre erfolgte ein weiterer Anlauf, um eine Verbindung von der schiffbaren Saale nach Leipzig zu schaffen. Im Juli 1933 liefen nach langem Hin und Her bei Burghausen groß angelegte Bauarbeiten an, um mit dem Saale-Leipzig-Kanal einen Südflügel des Mittelland­kanals herzustellen. Bald war es eine der größten Arbeits­beschaffungs­maßnahmen des Reichs­arbeits­dienstes, doch der Kanalbau musste hinter kriegs­wichtigeren Projekten zurückgestellt werden. Nach Kriegsende rückte der Weiterbau hinter notwendigeren Projekten in weite Ferne.

Sperrtorreste Elster-Saale-Kanal
Reste des Sperrbauwerkes in Burghausen erinnerten Badegäste an die Zwecke des Kanals
Schleusentreppe Wüsteneutzsch
Die geplante Schleusentreppe in Wüsteneutzsch ist seit dem Bau Fragment geblieben

Halbfertiges allerorten

Der Kanalbau blieb Fragment, der Hafen fiel kleiner aus. Insgesamt waren zwei Umschlag-Hafenbecken und zwei Industriehafenbecken geplant. Umgesetzt wurde das Umschlagbecken I mit einer Länge von 1000 Metern, einer Breite von 70 Metern und einer Tiefe von ursprünglich 6 Metern. Westlich davon sollte das gleich große Umschlagbecken II entstehen. Vom angefangenen Bau des Hafenbeckens III für den geplanten Industriehafen zeugte lange Jahre noch eine halb verschüttete Brücke im Zuge der Lützner Straße. Davon unberührt waren die über die Jahrzehnte errichteten Speichergebäude auch ohne Wasseranbindung in Betrieb.

Ende des Hafenbeckens
Das ehrgeizige Hafenprojekt fand nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Boden der Tatsachen zurück

Der mittlere der alten Hafenspeicher, gut lesbar für die damalige Hafen-Lagerhaus-Gesellschaft HA-LA-GE errichtet, diente als Getreidesilo, südlich davon liegen die noch heute genutzten Betriebsanlagen des Leipziger Kraftfuttermischwerkes. Im nördlichen Bereich des Hafens befand sich das Silo des ehemaligen VEB Hopfenverarbeitung, 1972 aus dem halbstaatlichen Betrieb M.R.A. Schneider hervorggegangen. Am 14. Mai 1964 zerstörte eine Staubexplosion Teile des Gebäudes, die daraufhin stillgelegt werden mussten. Ungeachtet der Beschädigungen steht das Gebäude bis heute. Neben den Speichergebäuden war das Hafengelände traditioneller Standort von Baubetrieben. Daran erinnern noch heute das Mörtelwerk am Kanal und Reste der Kiesbahn. Während des Baues des angrenzenden Neubauviertels Grünau fertigte man auf dem Hafengelände auch Betonfertigteile.

Speichergebäude am Hafen
Die vier Speicher Lei-Kra, Rhenus, HA-LA-GE und M.R.A. Schneider prägten lange Zeit den Hafen
Altbebauung Hafengelände
Ungenutzte Barackenreste: Blick vom damaligen Ende des Hafenbeckens zur Lützner Straße

Brachland wird plattgemacht

Die Handelsstadt Leipzig hatte einen unschiffbaren Hafen, der in nächster Nähe zum Landschaftsschutzgebiet Schönauer Lachen vor sich hin schlummerte. Mit der Leipziger Olympia-Bewerbung endete im Jahre 2002 der Dornröschenschlaf des Geländes – zumindest auf Planungsebene. Die ehrgeizigen Pläne sahen vor, auf dem Hafengelände das Olympische Dorf entstehen zu lassen. Das zentrumsnahe Grundstück mit möglicher Wasseranbindung blieb auch nach dem Platzen der Olympia-Blase von Interesse. Um die Ruhe war es geschehen. Im Olympia-Jahr 2012 startete mit dem ersten Spatenstich der Bau zum neuen Stadtquartier im Leipziger Westen.

Bau der Hafenmauer
Die Verlängerung der Hafenmauer war eine der ersten Baumaßnahmen auf dem Areal

Bei der Wasseranbindung wandte sich das das Interesse in die geografisch entgegengesetzte Richtung zum ebenfalls halbfertigen Karl-Heine-Kanal. Mit der Beräumung des gut vier Hektar großen Hafenareals startete 2009 die Anbindung an das Leipziger Gewässernetz. Am 29. Januar 2015 erfolgte schließlich die Flutung des 665 Meter langen Abschnitts zwischen dem Karl-Heine-Kanal und dem Hafenbecken. Mit der Anbindung an die Weiße Elster endete nach sieben Jahrzehnten die Insellage des Lindenauer Hafens. Der avisierte zweite Durchstich über die verbleibenden 75 Meter zum Elster-Saale-Kanal soll laut einem Stadtratsbeschluss ab dem Jahr 2018 in Angriff genommen werden. Doch auch hier dürfte einige Zeit durchs Land gehen.

Gleisreste am Hafen
Jahre zuvor begann die Beräumung, der Ausläufer vom Industriegleis PX ist längst Geschichte
Vorbereitetes Kanalbett
Im Herbst 2014 war das neue Kanalbett für den Durchstich zum Kanal schließlich profiliert

Blick über Brache
Ein letzter Blick von der Luisenbrücke auf das verlorene Brachland des alten Hafens

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