TECHNIK
Zeitbrüche unterm Fahrdraht
Ein Stück Technikgeschichte im Alltag
Im März 2021 verbuchte der Thüringer Eisenbahnverein einen Neuzugang. Es war die einstige Neubaulok 211 028, die 31 Jahre bei der Reichsbahn und wechselnden Betreiberfirmen in Diensten stand. Sie verkörpert bewegte Jahrzehnte Technikgeschichte.

Gebaut wird sie im Juli 1963 als E11 028 mit der Fabriknummer 9939 im LEW Hennigsdorf. Erst zwei Jahre zuvor gingen die beiden Baumuster in Betrieb. Ihre Bezeichnung E11 orientiert sich noch an der deutschen Wiedervereinigung. Die Bundesbahn hatte kurz zuvor ihre Baureihe E10 neu beschafft. Das Baulos des Jahres 1963 umfasst bereits die Loks E11 021 bis E11 042. Von Juli bis Oktober werden sie in den Bahnbetriebswerken Leipzig West, Halle P und Bitterfeld in Dienst gestellt. Bei ihnen fehlt schon die Frontschürze, sie kommen mit neuen Nummernschildern, die vom breiten alten Reichsbahn-Schema abweichen. Zwei Sicken im Rahmen und die vier seitlichen Doppellüftungsgitter werden sie später von ihren Folgeserien unterscheiden.

Der Start der Großdiesellok V 180 vom LKM Babelsberg verläuft hingegen schleppend. Erst Anfang 1963, fast vier Jahre nach Präsentation des Baumusters, erfolgt die Abnahme der ersten Serienlok V 180 005. Bis Jahresende gehen noch dreizehn Maschinen in Dienst. Mit dem Jahr 1963 endet vorerst die Beschaffung der E 11, der Vorrang wird statt dessen der Schwester-Baureihe E 42 gegeben. Mit einer kürzeren Getriebeübersetzung ist sie zwar langsamer, wird mit ihrer stärkeren Anfahrzugkraft aber die Universal-E-Lok der Reichsbahn werden.

Große Schritte zu Beginn
Das Einsatzgebiet von E11 028 ist 1963 noch recht überschaubar, es wird zum Jahresende 440 Streckenkilometer umfassen. Es sind die wiederelektrifizierten Abschnitte zwischen Magdeburg, Dessau, Halle, Weißenfels, Leipzig und Reichenbach. Alle Anlagen und Einrichtungen sowie der gesamte elektrische Fuhrpark gelangten 1946 als Reparationsleistung in die Sowjetunion. Sie werden ab 1952 im Schrottzustand teuer zurückgehandelt, die Wiederaufnahme des elektrischen Betriebes erfolgt schrittweise ab 1955. Bis Ende 1961 zieht sich die Inbetriebnahme der ramponierten Altbau-E-Loks hin.

Anspruchsvolle Ziele waren gesteckt, doch im Alltag hat man mit elementaren Problemen zu kämpfen. Die Beseitigung grundlegender Kriegs- und Reparationsschäden nimmt zahlreiche Ressourcen in Anspruch und lässt manche Wunschvorstellungen schrumpfen. Im Jahr 1965 werden bei der Deutschen Reichsbahn der DDR 8 Prozent der Zugförderungsleistungen mit E-Loks, 3 Prozent mit Dieselloks erbracht. Die Neubau-E-Loks erweisen sich schnell als Quantensprung. Die Eigenentwicklung der DDR-Industrie ist für künftige Aufgaben fest verplant.

Schrittweise geht es voran: Zum Sommerfahrplanwechsel 1970 erfolgt die Eröffnung des elektrifizierten Streckenabschnitts Wurzen - Riesa. Er markiert den Lückenschluss im sogenannten Sächsischen Dreieck, das die Industriezentren Leipzig, Zwickau, Karl-Marx-Stadt und Dresden verbindet. Die Elektrifizierung erreicht damit die 1.000-Kilometer-Marke. Einen der Sonderzüge zur Eröffnung bespannt E 11 028. An das Ereignis erinnert später eine Bronzeplakette an der Lok. Ab Juni 1970 ist sie dann mit ihrer neuen Computer-Nummer 211 028-6 unterwegs.

Die Eröffnung des Sachsendreiecks bildet einen vorläufigen Endpunkt. Bereits seit 1966 liegt die oberste Priorität bei der Traktionsumstellung auf Dieselloks. Elektrifizierungen beschränken sich auf wenige Ergänzungen im Netz. Ab 1974 kommen noch drei kleine Lieferserien der 211, nach 95 Maschinen ist im Dezember 1976 Schluss. Einen Monat vorher war mit 242 292 auch der Bau der Schwester-Baureihe beendet. Erst ein Jahr später wird die anlaufende Serienfertigung der sechsachsigen E-Lok-Reihe 250 ein weiteres Kapitel aufschlagen. Ein Richtungswechsel zur elektrischen Zugförderung kündigt sich an. Getrieben wird der geänderte Kurs durch die 1979/80 über die DDR hereinbrechende Ölkrise.
Erfolgreich durchgehalten
Mit dem Ende der DDR sind gut 3.700 Kilometer Bahnstrecke elektrifiziert, rund 27 Prozent des Gesamtnetzes. 1.200 E-Loks stehen im Einsatz und erbringen rund die Hälfte aller Leistungen im Zugdienst. Die Baureihe 211 gehört mit 69 Maschinen im Unterhaltungsbestand dazu. Doch aus dem Schnellzugdienst sind sie durch die neuen Baureihen 250 und 243 rasch verdrängt worden, ihr Stern sinkt. Nach Umbauten ab Mitte der 1980er Jahre laufen 23 Exemplare von ihnen als 242 vor Güterzügen. Aber 211 028 ist noch im Einsatz - und immer noch in ihrem ersten Heimat-Bw Leipzig Hbf West. Ab 1992 wird sie dort als 109 028 geführt, doch zwei Jahre später ist Schluss. Am 12.09.1994 kommt sie in den Schadpark und wird drei Monate später im nunmehrigen Betriebshof Leipzig Hbf West ausgemustert.

Doch damit ist noch nicht Schluss: Die folgenden zwölf Jahre wird die Lok noch bei wechselnden Eigentümern im Einsatz stehen. Übernahmen, Umfirmierungen und wechselnde Standorte sorgen für Unübersichtlichkeit. Ihre letzte Hauptuntersuchung erhält sie im Juni 2004 in Neustrelitz, bis zum Fristablauf ist sie bei der Eisenbahngesellschaft Potsdam im Einsatz. Im Unkraut der Wittenberger Abstellgleise scheint sich 2012 das endgültige Aus anzukündigen. Doch auch diesmal sollte es noch einmal anders kommen. Im März 2021 gelangt sie als Leihgabe ins Eisenbahnmuseum nach Thüringen.



Die Aufnahmen entstanden im Mai 2018 (Wittenberge) und im Oktober 2021 (Weimar).