WEGE & PFADE 18 | 5:25 Min
Der Anhalter Bahnhof in Berlin war Symbol einer pulsierenden Metropole und charismatischer Verkehrsknoten. Er galt als Tor zur Welt, stand für Noblesse wie für Fernweh. Den Krieg überstand er mit einigen Blessuren, der Kalte Krieg ließ ihn jedoch ins Abseits geraten.

Bereits 1841 ging der Anhalter Bahnhof als zweitältester Berliner Bahnhof in Betrieb. Doch im prosperierenden Berlin genügten Anlagen wie Bauten bald nicht mehr den Ansprüchen. Der repräsentative Neubau im Presse- und Regierungsviertel war 1880 nach sechs Jahren Bauzeit fertig. Seltsamerweise erfolgte die Betriebsaufnahme am 15. Juni 1880 trotz Publikumsandrang weder durch Kaiser noch andere Würdenträger. Das erledigte stattdessen der Frühzug nach Lichterfelde, Abfahrt war 5.45 Uhr.

Das Empfangsgebäude des Architekten Franz Schwechten galt als Höhepunkt der Berliner Backsteinarchitektur. Mit 170 mal 62 Metern und einer Höhe von 34 Metern besaß die stählerne Dachkonstruktion beachtliche Abmessungen. Trotz der gewaltigen Dimensionen der Bahnsteighalle und der höchsten Zugfrequenz der Berliner Kopfbahnhöfe blieb der Anhalter Bahnhof mit sieben Gleisen bahntechnisch übersichtlich.

Ganz großer Bahnhof
Den weitaus größten Platz beanspruchte der südlich vorgelagerte Güterbahnhof. Mit den angrenzenden Behandlungsanlagen für Lokomotiven nahm er die Anlagen des alten Dresdner Bahnhofs ein, dessen Aufgaben er kurz nach dem Neubau übernommen hatte. Die Anhalter Bahn nach Dessau, Halle und Leipzig war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die wichtigste Verbindung nach Mittel- und Süddeutschland, weiter nach Nizza, Wien, Istanbul und Italien. Der Anhalter Bahnhof bediente Mythen um Fernweh und Luxus, wuchs aber auch zu Berlins größtem Warenumschlagsplatz heran. Die Brücken über Landwehrkanal und Yorckstraße, auf engstem Raum über sechs Ebenen, hätten auch Kulisse für Fritz Langs ikonischen Filmklassiker Metropolis sein können. Den Bahnknoten bekrönte im Oktober 1939 noch ein unterirdischer S-Bahnhof.



Mondän, luxuriös, pompös
Mit der Nähe zum Regierungsviertel war der Anhalter Bahnhof auch der Ort für große Staatsempfänge. Architektonisch unterstrich das die Schauseite der Bahnhofshalle am Askanischen Platz. Greppiner Klinker und eine Vielzahl an Terrakotta-Formsteinen sorgten für dezenten Prunk. Ab 1928 war der Bahnhof durch eine unterirdische Ladenpassage mit dem Hotel Excelsior verbunden. In unmittelbarer Umgebung standen gleich sechs noble Hotels, die den Bahnhof mit mondänem Luxus in Verbindung brachten. Auch der extra Wartesaal für die höchsten und allerhöchsten Herrschaften formte das Bild vom Tor zur Welt und einem der schicksten Bahnhöfe in der ganzen Stadt.



Inferno kurz vor Kriegsende
Den Zweiten Weltkrieg mit seinen Luftangriffen auf die Reichshauptstadt hatte der Anhalter Bahnhof zunächst leidlich überstanden. Das Ende kam am 3. Februar 1945. Der 288. Luftangriff auf Berlin war einer der verheerendsten. Auf etwa 400 Hektar Fläche hinterließ er fast die gesamte Luisenstadt in Schutt und Asche. Das Exportviertel an der Ritterstraße, das Zeitungsviertel und auch der Moritzplatz, dazu der Anhalter und der Potsdamer Bahnhof waren Geschichte. Die Opferzahlen bewegten sich in Größenordnungen wie bei den Angriffen auf Dresden oder Magdeburg. Von der Halle des Anhalter Bahnhofs verblieben nach dem Angriff nur die massiven Grundmauern, was damals noch als aufbauwürdig eingestuft wurde. Im März 1948 sprengte man im Zuge von Aufräumarbeiten die zerstörte Dachkonstruktion, wenig später öffnete der rund um die Uhr betriebene Wartesaal.


Plötzlich in Randlage
Das wirkliche Ende des Bahnhofs brachte die Berlin-Blockade, mit der man nach dem 24. Juni 1948 die Westsektoren der geteilten Stadt zu isolieren versuchte. Für die Berliner Infrastruktur schuf dies dauerhaft Tatsachen. Der Schlesische Bahnhof wurde als Ostbahnhof zum neuen Hauptbahnhof der Stadt, die Verkehrsströme regelte man grundhaft neu. Aus der zentralen Lage rückte der Anhalter in ein Randgebiet. Der Fahrplanwechsel am 18. Mai 1952 brachte dem traditionsreichen Fernbahnhof das Aus. Ihm folgten der Lehrter und etwas später der Görlitzer Bahnhof. Es waren Kollateralschäden der Weltgeschichte: Bei der Festlegung der Berliner Sektoren in der Konferenz von Jalta waren keine Regelungen über die Verkehrswege getroffen worden.

Brachen als Standortfaktor
Nicht allein die Sowjets schufen mit der knapp einjährigen Blockade Tatsachen. Auch im Westteil der geteilten Stadt arbeitete man – mit unterschiedlichen Konzepten – am Wiederaufbau. Mit der Stalinallee im Osten und dem Ernst-Reuter-Platz im Westen standen sich bald zwei städtebauliche Konzepte gegenüber, denen man später eine gewisse Geschichts- und Geschmacklosigkeit vorwarf. Einig war man sich im technischen Optimismus, der im autogerechten Verkehrskreisel sein Leitbild fand. Monumentalismus und Elemente von Speers Achsensystem auf der einen, Filz, Größenwahn und Misswirtschaft auf der anderen Seite: Das Nachkriegs-Berlin hatte eine Mitte ohne Stadt und war selbst eine Stadt ohne Mitte.

Der verkehrsfreie Anhalter Bahnhof fiel aus der Zeit und wurde zum Politikum. Dem Bahnhofsgebäude attestierte man darum akute Einsturzgefahr. Massive Bürgerproteste änderten daran nichts, in den Jahren 1959 bis 1961 folgte der Abriss. Den Abbruchfirmen Karl Bartel, Eduard Bleck und Bonne bereiteten indes die massiven und standfesten Mauern des Bahnhofs Probleme. Ein Teil des Portikus blieb schließlich stehen. Er wurde Teil einer schöngeredeten Dauerbrache in der Prestigeinsel West-Berlin.



Für den Anhalter Bahnhof und seine versprengten Überreste deutete sich in den 1980er Jahren eine kleine Wende an. Im alten Anhalter Bahnbetriebswerk zog das neue Museum für Verkehr und Technik ein. Was von den Anlagen des alten Güterbahnhofs übrig blieb, wurde zum Stadtteilpark geadelt, im Behördendeutsch als Gleis-Wildnis deklariert.

Gleiswildniswarnt man im Stadtteilpark Gleisdreieck die Anwohner
Letzter Streich für den Anhalter Bahnhof dürfte im Jahre 2001 die Errichtung des Tempodroms gewesen sein. Der Betonbau in Gestalt eines Zirkuszeltes thront seither im Vorfeld des Empfangsgebäudes, das er - gedachterweise - um drei Meter überragt. Wildwuchs und Überreste des Drogenkonsums umrahmen gleich daneben als Elise-Tilse-Park die Gleisreste des Anhalter Bahnhofs.
