Aussterbende Symbole der Industrie


Schornsteine verschwinden

  INDUSTRIE   15 | 3:10 Min

Einst galten sie als steinerne Ausrufezeichen des Fortschritts, die im 19. Jahrhundert begannen, den Kirchtürmen ihre himmelweisende Position streitig zu machen. In Zeiten des Kampfes fürs Klima sterben die einstigen Wahrzeichen einer florierenden Industrie aus.

Sanierter Schornstein
Verzierter als manch ein Kirchenpfeiler präsentieren sich die Schornsteine aus der Gründerzeit

Der Vergleich mit den Kirchtürmen ist nicht einmal weit hergeholt. In der Gründerzeit galten Fabrikschornsteine als Symbole mit besonderer Strahlkraft. Oft wurden sie repräsentativ in Sichtachsen platziert, um auf Standort und Stadtviertel aufmerksam zu machen. Selbst kleine Schlote im Hinterhaus waren zusätzlich zu ihrer Funktion als Rauchabzug verziert, denn auch sie galten als Statussymbol. Das einst größte deutsche Industrierevier Leipzig-Plagwitz erreichte immerhin die stolze Dichte von 112 Industrieschornsteinen auf einem Quadratkilometer. Sie qualmten ordentlich und sollten es auch, wie alte Stiche und Postkarten anschaulich und bestimmt auch ein wenig übertreibend belegen. Dass sich dabei die Wohnqualität – auch mit den Schornsteinen vom privaten Hausbrand in engen Grenzen hielt, muss nicht weiter ausgeführt werden.

Schornstein hinter Straße
Mit 170 Metern Höhe grüßte der Kraftwerksschornstein in die Anliegerstraße

Mit großer Symbolkraft

Nicht nur aus der klassischen Industriearchitektur ist der Schornstein kaum wegzudenken. Auch die Traumdeutung weiß um die reichhaltige symbolische und psychologische Bedeutung der Schlote. Dabei dokumentieren die monumentalen Rauchabzüge, dass sich nüchterne Funktionalität oft mit symbolischer Aufladung verband. So besaß der berühmte Luxusliner Titanic vier Schornsteine, wobei der vierte eine Attrappe aus ästhetischen Gründen war.

Kaum ein Schornstein des Industriezeitalters kam ohne Muster und Zierrat aus. Bei ihrem Bau berücksichtigte man Proportionen, Symmetrien und städtische Sichtachsen. Es war eine Zeit, in der sich auch Fabriken mit mancherlei architektonischem Hinguckern schmückten.

Schornstein im Grünen
Schornsteine waren im Industriezeitalter architektonische Ausrufezeichen des Zeitgeistes
Schornstein in Stadtlandschaft
Aus den heutigen Stadtsilhouetten sind Schornsteine bereits weitgehend verschwunden

Schwieriger Erhalt

Schornsteine begleiteten souverän und lange die industrielle Entwicklung. Der große Umbruch kam, in Ost wie in West, mit den 1990er Jahren. Ein nicht mehr als Abgaskamin benutzter Schornstein birgt eine Reihe von Problemen. Die fehlende Wärme, die ausbleibende Kondensation und andere kleine aber wichtige Dinge setzen der Substanz der Schlote zu. Manche konnten sich als Antennenträger – nicht selten noch während ihres Betriebs als Schornstein – in ein zweites Dasein retten. Doch der dauerhafte Erhalt der steinernen Giganten ist schwierig, viele sind deswegen auf ein finanziell vertretbares Höchstmaß gekürzt worden. Damit bleibt wenigstens die Ahnung einstiger Größe erhalten.


Schornstein in Abrissgebiet
Auf einer Brache spiegelt sich der steinerne Riese auch ohne Fabrik noch in voller Größe
Zurückgebauter Schornstein
Bald jedoch ist er aus Gründen von Statik und Kosten auf die höchstzumutbare Höhe gestutzt
Schornsteine in Hinterhöfen
Als Träger von Kommunikationsanlagen haben Schornsteine zwischenzeitlich noch Chancen

Kein Ende in Sicht

Während Fabrikschornsteine und Industrien aussterben, feiert inzwischen der archaische Kamin fröhliche Urständ. Fast zwölf Millionen solcher Einzelraumfeuerungsanlagen gibt es in Deutschland. Energie-Effizienz und Umweltverträglichkeit dürften kaum den Ausschlag für deren Renaissance gegeben haben, denn mehr als 75 Prozent der Heizleistung verschwinden durch den Schornstein. Im Jahr 2016 erzeugten in Deutschland Kamine & Co. doppelt so viele Feinstaub-Emissionen als alle PKW-und LKW-Motoren zusammen. Doch mit behaglicher Wärme lässt sich das soziale Prestige des glücklichen Kaminbesitzers gleich doppelt genießen - am besten bei grünem Nachhaltigkeits-Gelaber.

Blick über Vorortviertel
Schornsteinlandschaft mit Industriebetrieb in Liquidation, Bordell und Schrebergärten
Schornstein Hinterhaus
Allgegenwärtig waren auch Heizanlagen von Fabriken und Gewerbeobjekten in den Hinterhöfen
Schornstein Fabrikanlage
Der Schornstein der Gohliser Bleichert-Werke ging nicht im neuen Wohnpark auf
Kraftwerk Kulkwitz
Auch ohne Aufgaben verharrt der Schornstein des Kraftwerkes Kulkwitz als Landmarke
Schornstein und Fabrikruine
Nahezu unauffällig steht der Schornstein der Plagwitzer Swiderski-Fabrik im Ruinen-Areal
Kraftwerk Lippendorf
Bei modernen Kraftwerken wie in Lippendorf bleiben die Schornsteine in den Kühltürmen verborgen
Sonnenuntergang hinter Schornstein
Stimmungsvolle und emissionsfreie Ansicht einer Industriebrache im Sonnenuntergang
Schornsteine auf alter Postkarte
Das waren Industrie-Symbole aus dem Jahre 1847 [Public domain, via Wikimedia Commons]