Wildwuchs in der Urbanität


Emporgeschossene Lost Places

  URBANES   12 | 3:20 Min

Lange Zeit tauchte Natur im städtischen Kontext bestenfalls als Zierde, Randerscheinung oder Gegensatz auf. Doch vor dem Hintergrund mancher Brüche in der geplanten Stadtentwicklung wird man sich mit dem scheinbar widersprüchlichen Begriffspärchen neu arrangieren müssen.

Zugewachsenes Burgplatzloch Leipzig
Im Jahr 2016 war das Burgplatzloch noch grün, nach zwei Jahrzehnten kam sein Ende

Meist wird Natur in Gegensatzpaaren gedacht: Natur versus Kultur, Natur versus Zivilisation oder auch als Widerspruch Land gegen Stadt. Doch die Lost Places zeigen, wie eng die Verbindung der vermeintlichen Antagonisten in Wahrheit ist. Wo auch immer in unserer urbanen Lebenswelt etwas nicht mehr gepflegt wird oder liegenbleibt, tritt die Natur auf den Plan und holt sich das von ihr einst abgerungene Terrain rasch zurück. An und neben den Lost Places findet man die eigentümlichen Umarmungen von Natur, Urbanität und Technik in der Warteschleife. Schnell sind sie da, die Mauerblümchen, die zugewachsenen Ecken, die Vegetation in den Dachrinnen. Kein Gärtner muss sich extra um sie kümmern. Doch viele dieser Rückeroberungen sind nur eine flüchtige Zwischenlösung. Früher oder später werden viele dieser Stellen wieder in die durchgeplant-betonierten Stadträume zurückkehren.

Blume auf Bahnsteig während Bauarbeiten
Dauerbaustellen und Brachflächen holt sich – teilweise oder ganz – in Windeseile die Natur
Blüten auf brachliegendem Bauland
Im Niemandsland zwischen Beräumung und Bebauung ist ein Stück Natur emporgeschossen
Mohnblüten an einer Baustelle
Auch an scheinbar unwirtlichen Orten setzt die Natur ohne Unterlass ihre Zeichen
Fliederblüte vor Ruine Treppenhaus
Selbst in einer Fabrikruine blüht auch inmitten von Verfall und Tristesse farbenfroh der Flieder
Straßenzug im Wildwuchs
In bester Gründerzeit-Lage ist ohne Planungen und mit der Zeit ein Wäldchen herangewachsen
Vollkommen eingewachsenes Gewächshaus
Auf vergessenem Gelände hat an einem Gewächshaus die Natur die Seiten gewechselt
Schuppenreste im Grünen
Der Rest eines Güterschuppens reckt sich gegen seinen nahenden Untergang im Grünen
Wassertürme in der Vegetation
Selbst Wassertürmen macht die wuchernde Natur mit der Zeit Konkurrenz
Drehscheibe inmitten von Wildwuchs
Um die Drehscheibe herum sorgt nur noch das Pflanzenwachstum für Bewegung
Stillgelegte Bahnhofsgleise im Herbst
Vegetation überzieht ungenutzte Gleise, bevor sie für immer verschwinden


  Nachtrag Juli 2023

Der fertiggestellte Burgplatz
Das Burgplatzloch ist nach zweieinhalb Jahrzehnten Geschichte – Ein kurzer Nachruf

Das Burgplatzloch ist Geschichte. Mehr als zwei Jahrzehnte gehörte die verwaiste Dauerbaustelle in bester City-Lage zum Stadtbild beinahe schon dazu. Die Besitzer des Areals wechselten in dieser Zeit mehrfach und mehrere ehrgeizige Projekte verliefen aus verschiedenen Gründen schließlich im Sande. Der architektonisch ansprechende Bau bringt zudem Geschichte zurück: Mit den lebensgroßen Sandsteinfiguren an der Fassade stehen Johannes Eck, Georg von Sachsen und Martin Luther nahe am Ort ihrer Leipziger Disputation.