ANGEHEFTET   13 | 2:00 Min

Frühling und Lost Places

Theoretisch unpassend aber sehenswert

Ein blaues Band, das durch die Lüfte flattert, wird man im Frühling neben Lost Places vergebens suchen. Da schweigt des Sängers Höflichkeit. Die dunklen und trübsinnigen Jahreszeiten scheinen ein passenderes Licht auf die verlorenen und vergessenen Orte zu werfen.

Sonnenlicht unter Brückenbogen
Die Frühlingssonne scheint in verlassene Winkel hinein – Ist es der Stimmung abträglich?

Der Frühling bringt Hoffnung und Aufbruch. Er erfüllt die Sehnsüchte nach Wärme und dem Wiedererwachen der Natur. Dieses Repertoire stammt noch aus Zeiten, in denen es nicht selbstverständlich war, lebendig und unbeschadet über den Winter zu kommen. Heute fallen für viele die Einschränkungen geringer aus, doch auch in der Stadt lebt man nicht völlig außerhalb der natürlichen Kreisläufe.

Kaum einer möchte sich dem Frühling entziehen, steht er doch für einen Neuanfang. Er markiert den Beginn in einem neuen Jahreszyklus und steht ebenso für einen Abschnitt im persönlichen Lebenslauf. Es ist Frühling – Noch sind Herbst, Dunkelheit und Kälte weit entfernt. Der Frühling lässt sich nicht aufhalten. Doch auch der Zyklus der Jahreszeiten ist in seinem Ablauf bestenfalls schwankend, doch unerbittlich.

Weidenkätzchen vor Hangar
Auch auf dem lange verlassenen Fliegerhorst erwacht wieder die Natur
Blütenstrauch vor Speicherruine
Der Sonnenaufgang hinter den alten Hafenspeichern wirkt beinahe programmatisch
Kirschblüten auf Brache
Gute Lebensbedingungen bieten verlassene Orte mit eingeschränktem Besucherverkehr
Bauwerk hinter Blüten
In wenigen Wochen tauchen auch die verlorenen Orte in die emporgeschossenen Blüten ein

Die Natur präsentiert sich in ihrem ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens. Vielleicht liegt darin auch eine Vorwegnahme, ein Hinweis auf die Endlichkeit alles Daseins. Der Zyklus der Natur lässt sich nicht aufhalten. In ihr ist der Winter die notwendige Phase der Erholung. Das lässt sich nicht so einfach auf Kultur und Menschengemachtes übertragen. Doch ob Frühjahrsmüdigkeit oder erfolgreiche Abkehr vom Winterschlaf: Der Frühling steht für das Jugendhafte. Und Frühling ist eine der schönen Sprachschöpfungen aus der Lutherbibel.

Pflänzchen vor Lostplace
Ein paar zaghafte Blüten können aus einem verlorenen Ort noch keinen Garten machen
Brache mit rosa Blüten
Schönes gedeiht immer wieder auch ohne ambitionierte Gärtner und Freizeitmagazine
Klettenfrucht
Die hakige Klettenblüte zeigt sich noch als eine verschwindende Anhänglichkeit vom letzten Jahr
Blätter vor Straßenbahnwrack
Bei aufgegebenen technischen Artefakten sind die Lebenszyklen noch kürzer als bei Gebäuden
Blüten an Abstellgleis
Die Natur steht mit dem Kreislauf von Werden und Vergehen im Kontrast zu technischen Wartungszyklen
Blüten auf Lokfriedhof
Besonders drastisch begegnen sich die wiederkehrende Natur und die vergehende Technik
Lokwrack im Birkengrün
Fallhöhe der Symbolik: Frisches Birkengrün vor kaputter Technik an einem verlassenen Ort

Die Wissenschaft sieht den schwer fassbaren Frühling gewohnt nüchtern. Als Verursacher der typischen Frühlingsdüfte haben sie weder Maiglöckchen noch Tulpen ausgemacht, sondern eine Substanz namens Geosmin. Dieser Stoff wird von Mikroorganismen im Boden produziert und strömt aus, sobald die warme Erde im Frühjahr Geruchsmoleküle freisetzt. So hat uns auch die Erde wieder. Ein gelungener Hinweis auf Wissenschaft, Bodenständigkeit und Endlichkeit.

Storchennest auf Schornstein
Ein Trostpflaster zum Schluss: Brachen können als Nistplätze umgenutzt werden

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