URBANES 14 | 4:00 Min
Nichts mehr los – Verwaiste Städte
Weißer Januar
über das ganze Jahr
Als Weißen Januar bezeichnete man früher die Flaute in Gastronomie und Kultur nach Weihnachten. Inzwischen hat das Sterben der Läden ungeahnte Ausmaße angenommen, Katerstimmung macht sich breit. Straßenzüge, Innenstädte und ganze Regionen drohen zu veröden.
Unauffällig korrekt und bunt getarnt ist die Globalisierung von Industrie und Handel vorangeschritten. Die Innenstädte sind längst tot, nur ab und an wechseln im festen Korsett Namen und Brandings. Unter lautem Diversitäts- und Vielfalts-Gedröhn hat sich ein Einheitsbrei mehltaugleich übers Land gelegt. Betraf es anfangs noch den inhabergeführten Einzelhandel, sind längst schon Filialhändler und einst mächtige Ketten in den Abwärtssog geraten. Auch manche Shoppingcenter, die noch vor zwanzig Jahren sämtlichen Einzelhandel im drei-Kilometer-Umkreis aushungerten, sind heute selbst von Leerstand gezeichnet oder haben dichtgemacht. Hinterrücks rollende Pleitewellen bedienen den Markt mit neuen Lost Places.
Global orientiert - lokal verbockt
Doch die Probleme sind hausgemacht. Lokale Händler können den auf Effizienz getrimmten globalen Akteuren nicht standhalten. Wie im Großen, so im Kleinen: Vor Ort machen sich die Folgen ideologisch motivierter Transformationen bemerkbar. Autoverkehr zum Einkaufen wurde jahrelang unter pseudo-ökologischen Gesichtspunkten verteufelt, behindert und verteuert. Explodierende Gewerbemieten, steigender Kostendruck und behördliche Gängeleien beförderten die Abwärtsspirale von Ladenleerstand und Innenstadtverödung weiter. Einkauf vor Ort ist mittlerweile für viele nicht mehr populär. Die gefeierte Geiz-ist-geil-Mentalität ist einem noch gnadenloserem Vergleichs-Diktat gewichen. Wer nicht zum allergünstigsten Preis über Nacht portofrei liefert, ist außen vor. Wie war das mit Nachhaltigkeit? Ach so, man kann doch jetzt alles recyceln ...
Radikale Umbrüche
Der Strukturwandel der Konsumgesellschaft gehorcht den Auswirkungen einer umfassenden Globalisierung, die in alle Lebensbereiche eingedrungen ist. Der Umbau, der eher einem Kahlschlag gleicht, gewann seit den 1990er Jahren an Fahrt. Im Osten kam er als radikaler Bruch nach der politischen Wende. Im Westen begann er zunächst als Prozess, der sich aber zusehends selbstständig machte.
Kaum Schlupflöcher
Nach den Massenpleiten macht das Zauberwort Attraktivität die Runde – und mit ihm das ewige Mantra von Modernität und Neuerfindung. Sogleich wird über Chancen für einen nachhaltigen Stadtumbau, von Vielfalt und moderner Stadtgesellschaft gefaselt. Doch die medial hochgepriesenen und lokal geförderten Kreativlädchen, Selbsthilfe-Werkstätten oder Nachbarschaftscafés heizen die Abwärtsspirale nur noch weiter an. Spätestens mit dem Ende der öffentlichen Alimentierung ist der ganze Spuk dann vorbei.
Corona hat bestenfalls beschleunigt, was sich bereits seit Jahrzehnten auf Talfahrt befand. Sterile Fußgängerzonen, konfektionierte Shoppingcenter und die immergleichen Angebote landauf, landab dürften die besten Gründe für das ausufernde Online-Shopping geliefert haben. Selbst Handelsketten müssen ihr Filialnetz massiv ausdünnen oder ziehen sich ganz aus dem "stationären Handel” genannten Geschäft vor Ort zurück. In Zukunft werden dort wohl nur noch die Paketzentren dreier globaler Akteure sein. Aber so schlimm ist es ja gar nicht, eigentlich sind die meisten ja gar nicht pleite, sie haben nur geschlossen ...
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