SCHWERPUNKTE
Gesichter der Großstadt
Unsere unauffälligen Alltags‑Begleiter
Mit Großstädten werden die Anonymität des Einzelnen als auch unpersönliche Menschenmassen verbunden. Mit Hilfe der Kunst geht es auch anders. Hier eine kleine Auswahl jener alltäglichen Begleiter, die so oder ähnlich auch an zahlreichen anderen Orten zu finden sind.

Der französische Philosoph und Medientheoretiker Jean Baudrillard gilt als einer der ersten, die sich intensiv mit dem Phänomen der Graffitis im öffentlichen Raum beschäftigt haben. Ende der 1970er Jahre veröffentlichte der studierte Germanist sein Buch Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen
, in dem er sich am Beispiel der Graffitis anden New Yorker U-Bahnen mit einem Massenphänomen seiner Zeit auseinandersetzte. Das große Echo auf diese Veröffentlichung brachte Baudrillard, der sich auch intensiv mit der Fotografie beschäftigte, viel Zustimmung als auch viel Kritik. Heute zählen seine Werke zu den Standardschriften postmodernen Denkens.

Alles ist nur ein Austausch von Zeichen
Die Stadt, Vertreterin des Urbanen schlechthin, ist für Baudrillard zugleich ein neutralisierter und homogenisierter Zeit-Raum. Dieser homogene Raum wiederum ist zerstückelt durch distinktive Zeichen, die versuchen, sich gegenseitig zu überbieten. Es ist eine sinnentleerende Verzweigung der Zeichen oder Codes, die für eine symbolische Zerstörung gesellschaftlicher Verhältnisse steht. Dadurch ist die moderne Stadt vorrangig ein Ort der Exekution der Zeichen. Ein Entkommen aus dieser Logik der Zeichen gibt es für Baudrillard nicht, indem man neue Bedeutungen produziere, sondern nur, indem man leere Zeichen setze. Das Paradebeispiel dafür sind für ihn die Schriftzüge und Tags der Graffitis. Diese durch keinen Sinn aufgefüllten Zeichen seien das einzig verbliebene Wahre
. In ihrer Bedeutungslosigkeit würden sie die vorherrschende Sinnlosigkeit beschleunigen und radikalisieren.
Sinnenleere und Einmischung
Die Städte unserer Tage sind also vor allem eine Erscheinung aus Zeichen, Medien und Codes. Im Mittelpunkt steht die Bedeutungslosigkeit der allgegenwärtigen Zeichen: Sie sind jeweils nur Kopien, die in die Realität geworfen wurden. Nach Baudrillard widerstehen sie jeder Interpretation, jeder Konnotation, und sie denotieren nichts und niemanden, weder Denotation noch Konnotation
. Als nicht bezeichenbare und leere Signifikanten brechen sie ein in die Sphäre der sinnerfüllten Zeichen der Städte. Mit ihrer bloßen Präsenz lösen diese Zeichen Sinnzusammenhänge auf und brechen ebenfalls aus der gewohnten Beziehung zwischen Sendern und Empfängern heraus, denn sie vermitteln keine Botschaft. Graffitis sind für Baudrillard eine Auflehnung gegen bürgerliche Identität und Anonymität, da sie dem Monopol der Zeichen ihre eigenen leeren Zeichen entgegensetzen. Ob Botschaft, leere Zeichen oder Bedeutungslosigkeit: Nett anzuschauen ist die kleine Auswahl an Stadtgesichtern auf ZeitBrüche allemal, wenngleich sie vielleicht eher Ausnahme als Regel sein könnte.

















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